Ein neues Jahr beginnt oft mit frischem Optimismus und einigen Überraschungen. Von Letzteren gab es in diesem Jahr schon viele. Die US-Demokraten gewannen zwei Wahlen im Bundesstaat Georgia und sicherten sich damit eine Mehrheit im Kongress, der designierte neue Präsident Joe Biden enthüllte einen Ausgabenplan im Volumen von 1,9 Billionen US-Dollar – mit dem Geld soll die US-Wirtschaft angekurbelt werden – und Regierungen überall auf der Welt verkündeten ehrgeizige Ziele für die Impfung ihrer Bevölkerungen gegen das Coronavirus.


Als dann die Zinsen von US-Staatsanleihen zu steigen begannen, kam es zu Schwankungen an den Märkten. Ich sehe darin auch eine Reaktion auf unbedachte Äußerungen von Vertretern der US-Notenbank (Fed) über mögliche Szenarien für eine schrittweise Reduzierung der Anleihekäufe und eine Anhebung der Zinsen. Fed-Chef Powell widersprach zwar vehement, aber erst, als die Renditekurve schon steiler geworden und die Inflationserwartungen gestiegen waren.


Könnten Zinsbewegungen, Pläne für höhere Staatsausgaben und Impfoptimismus als Signale dafür gedeutet werden, dass die Weltwirtschaft sich bereits erholt und zur Normalität zurückkehrt, begleitet von Inflation?

Den Geldbeutel weit geöffnet

Verfechter des „Reflation Trade“ würden bei der Beschreibung des derzeitigen Umfelds auf sehr niedrige Inflationsraten und enorme Summen an Hilfsgeldern verweisen, die Regierungen und Notenbanken in die Weltwirtschaft gepumpt hätten. Ein weiterer wichtiger Faktor seien hohe, während der Lockdowns angehäufte Ersparnisse der Verbraucher. Mit den Impfstoffen verbindet sich die Erwartung, dass die Volkswirtschaften bald wieder auf vollen Touren laufen werden, sobald die Nachfrage wegen des Nachholbedarfs der Konsumenten steigt und die Geldumlaufgeschwindigkeit deutlich an Tempo gewinnt.

 

Ich denke, dass die Vertreter der These vom „Reflation Trade“ etwas voreilig sind und dass uns das Niedrigzinsumfeld noch länger erhalten bleiben wird. Wir sind seit langem der Auffassung, dass die strukturellen Faktoren Überschuldung, Alterung der Bevölkerungen und Disruption (infolge von Globalisierung, Technologie und billigen Arbeitskräften) der Deflation langfristig weiter Vorschub leisten werden.

Not obvious average targeting will help: Core inflation measures vs central bank projections, percent

Not obvious average targeting will help
The views expressed are those of the presenter at the time of preparation and may change in the future.
Source: National central banks and statistics agencies. Data as at September 2020.

In Anbetracht der extrem hohen weltweiten Schulden – wir reden hier von rund 280 Billionen US-Dollar, Tendenz steigend – könnte jeder deutliche Anstieg der Renditen stärkere Schwankungen an den Märkten für Risikoanlagen auslösen. Die Folge wäre wohl, dass die Renditen wieder sinken würden. Steigende Anleiherenditen sind dem Ziel der Fed, ihre langfristigen Inflationsziele zu erreichen, nicht förderlich. Aus diesem Grund waren die Äußerungen über eine mögliche Reduzierung der Anleihekäufe schädlich, wie sich schon in der Vergangenheit gezeigt hat. Wir gehen davon aus, dass die Notenbanken noch sehr lange eine expansive Geldpolitik verfolgen werden.

 

Viele „Zombie“-Firmen werden ihren Cashflow zur Bedienung von Schulden verwenden, statt damit Investitionen in das langfristige Wachstum ihres Geschäfts vorzunehmen. Als Spezialisten für Unternehmensanleihen konzentrieren wir uns auf Firmen mit robustem Geschäftsmodell, die sich auch in der ungewissen Phase, die vor uns liegt, behaupten können. Konjunktursensitivere Bereiche meiden wir dagegen bewusst.

Der lange Weg der Erholung

In vielerlei Hinsicht preisen die Märkte eine wirtschaftliche Erholung ein, als ob diese nicht nur gewiss wäre, sondern auch linear verlaufen würde. Manche Kennzahlen implizieren eine Forward-Inflationsrate von 2,4%, das wäre so wie 2017-2018. Bis zu einer vollständigen wirtschaftlichen Erholung von der Pandemie wird jedoch noch viel Zeit vergehen.

 

Rezessionen sind in der Regel kurz und heftig, eine Erholung dagegen ist langwierig und vollzieht sich schrittweise. Die logistischen Probleme bei der Verteilung der Impfstoffe, die Unberechenbarkeit des Virus und der Umstand, dass Bereiche wie die Freizeit- und Tourismusbranche für eine Erholung Jahre benötigen werden, lassen zudem erwarten, dass eine Erholung langsamer verlaufen wird, als manche glauben wollen.

 

In der Wirtschaft gibt es erhebliche ungenutzte Kapazitäten, und am Arbeitsmarkt herrscht weitgehend Flaute. Es wird dauern, bis entlassene Arbeitnehmer nach dem Auslaufen staatlicher Hilfsprogramme einen neuen Job finden, sodass noch länger mit hohen Arbeitslosenzahlen zu rechnen sein dürfte.

Der Roboter soll das machen

Gut möglich, dass die Unternehmen mit gestärkter Produktivität aus der Pandemie hervorgehen. Den Druck auf Löhne und Arbeitsplätze würde dies zusätzlich erhöhen. Angesichts der beträchtlichen Kapazitätsreserven in der Wirtschaft erscheinen weder nachhaltige Preiserhöhungen bei Gütern und Dienstleistungen noch deutliche Lohn- und Gehaltssteigerungen realistisch. Künstliche Intelligenz, Robotik und Automatisierung werden die Arbeitsproduktivität spürbar verbessern, und auch das Smartphone, das da vor Ihnen liegt und tausend Sachen kann, hat eine desinflationäre Wirkung. Die Preissetzungsmacht der Arbeitnehmerseite bleibt vor diesem Hintergrund eher begrenzt.

 

Erwähnenswert ist, dass China als erste große Volkswirtschaft, die sich erfolgreich von der Pandemie erholt hat, mit dem gemeldeten Wirtschaftswachstum die Erwartungen übertrifft. Zudem verzeichnet das Land keinerlei Inflation, obgleich die Rohstoffpreise leicht angezogen haben. Vor diesem Hintergrund haben wir kürzlich 10-jährige chinesische Staatsanleihen gekauft, die eine deutlich höhere Rendite abwerfen als vergleichbare US-Papiere. China ist heute mit einem schrumpfenden Arbeitskräftepotenzial, einem stagnierenden Bevölkerungswachstum und, wie wir meinen, einer Kreditblase konfrontiert. Das sind ganz ähnliche Bedingungen wie die in den Industrieländern. Insofern dürften viele der makroökonomischen und demografischen Faktoren, die in anderen Teilen der industrialisierten Welt für sinkende Anleiherenditen gesorgt haben, in der Volksrepublik ebenfalls ihre Wirkung entfalten.

 

Zweifellos werden wir in diesem Jahr weitere Überraschungen erleben, und hoffentlich wird es auch mehr Grund zur Zuversicht geben. Der „Reflation Trade“ erscheint indessen in einigen Elementen zu optimistisch. Wird die Inflation demnächst Fahrt aufnehmen? Ich würde sagen: nein.

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