Die Stärke der Weltwirtschaft und vor allem das Wachstum der US-Wirtschaft in den letzten zwei Jahren haben uns und viele andere Marktteilnehmer überrascht. Seit der Corona-Krise sind die Konjunkturdaten aufgrund gegenläufiger Signale sehr schwer zu interpretieren, zumal die Gemengelage durch die geopolitische Volatilität und Sorgen über die Finanzstabilität (US-Regionalbanken und Credit Suisse) noch undurchsichtiger geworden ist.
Aktuell deutet unserer Ansicht nach alles auf eine spätzyklische Dynamik hin und die restriktive Geldpolitik scheint Wirkung zu zeigen, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung.
In vielen Industrieländern ist die Arbeitslosenrate kontinuierlich gestiegen. Die Signale, die von diesen Zeitreihen ausgehen, liegen selten falsch, auch wenn die aktuellen Werte im historischen Vergleich immer noch niedrig erscheinen mögen. Der Anstieg der US-Arbeitslosenquote von einem Tiefstand von 3,4% auf derzeit 4,0% ist zum Beispiel nicht unerheblich.
USA: Zweigeteilter Arbeitsmarkt und Konsummüdigkeit
Nach zwei Jahren eines starken Wirtschaftswachstums könnte es in den USA jetzt zu einer Verlangsamung kommen. Tatsächlich sehen wir auch Hinweise auf eine Schwäche der beiden tragenden Säulen des Nach-Corona-Konjunkturzyklus – des Arbeitsmarktes und der Verbrauchernachfrage.
Wir sehen einen zweigeteilten Arbeitsmarkt: Während die positiven Unternehmensdaten auf ein kontinuierliches Wachstum der Beschäftigtenzahlen außerhalb der Landwirtschaft hindeuten, zeigen die Daten der Haushaltserhebung (die für die Arbeitslosenquote verwendet wird) ein negatives Wachstum bei den neu geschaffenen Stellen seit Jahresbeginn und ein viel geringeres Beschäftigungswachstum seit 2021.
Diese beiden Erhebungen weisen einige wesentliche Unterschiede in der Zusammensetzung auf. Trotzdem dürfte die tatsächliche Arbeitsmarktlage in den USA etwas schwächer sein, als die Beschäftigungszahlen signalisieren. Eine weitere erwähnenswerte Diskrepanz betrifft den starken Anstieg der Teilzeitbeschäftigung bei einem gleichzeitigen Rückgang der Vollzeitstellen. Die Lage am US-Arbeitsmarkt erscheint aktuell deutlich weniger angespannt als vor zwei Jahren. Das sollte auch zu einer weiteren Normalisierung des Lohnwachstums beitragen. Tatsächlich steht das derzeitige Lohnwachstum bei Produktivitätszuwächsen von 1,5% bis 2% unserer Ansicht nach im Einklang mit dem Inflationsziel der US-Notenbank (Fed) von 2%.
Ein zweites wichtiges Thema bleibt die Konsummüdigkeit in den USA. Die hohe Ausgabefreude der Verbraucher war der Motor des Aufschwungs nach der Corona-Krise, und wir haben in den letzten zwölf Monaten wiederholt auf den Rückgang der während der Pandemie angesammelten Ersparnisse und die Verschlechterung der finanziellen Lage der privaten Haushalte hingewiesen. Die zunehmenden Ausfälle bei Verbraucherkrediten sind ein deutliches Ermüdungssymptom, und die Einzelhandelsumsätze sind in letzter Zeit nominal fast unverändert geblieben. Auch die großen Einzelhändler haben sich in ihren letzten Analystentelefonkonferenzen deutlich weniger optimistisch gezeigt, was sich in schwachen Einzelhandelsumsätzen widerspiegelt.
Schwache Entwicklung in Großbritannien
Außerhalb der USA sehen wir keine Hinweise auf einen Aufschwung. Die Erholung der Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe ist ins Stocken geraten, und die jüngste Volatilität im Zusammenhang mit der Europawahl hat einer ohnehin schwierigen Gemengelage mit höheren Energiepreisen, geringer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Billigwaren aus China und fehlendem Spielraum für zusätzliche Haushaltsausgaben noch eine gewisse politische Unsicherheit hinzugefügt.
Die Entwicklungen in Großbritannien sollten genau im Blick behalten werden. Die Zinssätze für bestehende Hypotheken sind von 2,0% auf 3,6% gestiegen und damit wesentlich schneller als in den USA (von 3,2% auf knapp 3,8%). Durch den weiteren Anstieg der effektiven Hypothekenzinsen wird der Puffer für den Konsum weiter sinken. Das Beschäftigungswachstum ist in Großbritannien ebenfalls deutlich schwächer ausgefallen.
Die Inflation lässt weiter nach
Nachdem die Inflation im ersten Quartal gestiegen ist, zeigten die Zahlen für das zweite Quartal (insbesondere für Mai und Juni), dass der Disinflationstrend weiterhin intakt ist. Starke saisonale Schwankungen der monatlichen Inflationsrate und unzuverlässige Saisonbereinigungen haben die Beurteilung der tatsächlichen Fortschritte in Richtung des 2-Prozent-Ziels recht schwierig gemacht. Wenn wir jedoch die grundlegenderen Messgrößen betrachten und uns nur die nicht saisonbereinigten monatlichen Zahlen für die US-Kerninflation (CPI) ansehen, zeigt sich interessanterweise, dass die monatliche Inflation seit Oktober 2022 in 19 von 21 Monaten unter dem Vorjahreswert lag.
Dies ist nicht überraschend, da die meisten der üblichen Inflationsfaktoren nicht vorhanden waren. In den letzten beiden Jahren: 1) ist die Geldmenge in den großen Industrieländern nicht gewachsen; 2) sind die Rohstoffpreise (Bloomberg Commodity Spot Index) bis Juni um -15% gesunken; 3) sind die Lebensmittelpreise (UN FAO Food Price Index) bis Juni um -23% gesunken; 4) haben die Lieferengpässe nachgelassen.
Die Aussicht auf eine Flaute auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, dass auch keine Lohn-Preis-Spirale befürchtet werden muss. Was bleibt, sind die letzten Auswirkungen vergangener Preisschübe, die von Posten wie den Wohnkosten oder Autoversicherungen herrühren, welche wahrscheinlich nach unten tendieren werden (im CPI-Bericht für Juni war der Rückgang bei den Wohnkosten besonders auffällig).
Implikationen für Anleger
In einem solchen Umfeld sehen wir einen potenziell größeren Spielraum für Zinssenkungen der Zentralbanken der Industrieländer, als sie vom Markt derzeit einpreist sind.
Wir sehen erhebliches Wertpotenzial bei Staatsanleihen von Industrieländern (insbesondere USA und Australien) sowie einigen Schwellenländern (Brasilien, Indien) und ziehen es vor, in unseren Portfolios eine historisch hohe Duration beizubehalten. Mit wenigen Ausnahmen erscheinen die Hürden für nennenswerte Zinserhöhungen jetzt sehr hoch. Wir sehen bedeutendes Wertpotenzial entlang der Kurve und halten eine relativ breite Diversifikation in Bezug auf die verschiedenen Laufzeitsegmente für sinnvoll.
Wir halten die Märkte für Unternehmensschuldtitel für fehlbewertet, da die Renditenaufschläge der weltweiten Investment-Grade- und Hochzinsanleihen weit unter ihrem langfristigen Durchschnitt und natürlich auch weit unter ihrem durchschnittlichen Rezessionsniveau liegen. Ein geringeres Exposure und Selektivität bleiben für uns wichtige Themen.
Die ersten Monate des Jahres 2024 waren von einer regen Finanzierungsaktivität gekennzeichnet und viele Unternehmen haben begonnen, die Welle der anstehenden Fälligkeiten zu adressieren. Der Anstieg der Zinsen ist noch nicht vollständig absorbiert worden, sodass die Fremdkapitalkosten für einige Unternehmen (insbesondere im B/CCC-Bereich) noch etwas ansteigen könnten. Die Zunahme der idiosynkratischen Volatilität und die beträchtlichen „Amend & Extend“-Aktivitäten im Hintergrund könnten ebenfalls Anzeichen für Stress sein.
Renditepuffer
Ungeachtet dessen sind wir der Ansicht, dass das aktuelle Renditeniveau insgesamt einen angemessenen Puffer bietet, der die Gesamtrenditen selbst in einem Umfeld höherer Spreadvolatilität stützen wird, insbesondere im Investment-Grade-Bereich, wo die Aktivitäten der Anleger, die sich das hohe Renditeniveau sichern wollen, ein wichtiger positiver Faktor sind. In jüngster Zeit war auch auf den High-Yield-Märkten eine steigende Anlegernachfrage zu beobachten. Wir sehen eine gewisse Performancestreuung zwischen Regionen, Ratingsegmenten und Sektoren. Besonders groß ist der Unterschied zum Rest des Marktes im unteren Qualitätssegment des europäischen High-Yield-Marktes.
Wir finden weiterhin überzeugende Anlagemöglichkeiten in defensiveren Branchen wie Telekommunikation, Gesundheit und Basiskonsumgütern sowie selektive Chancen im Finanzbereich. Wir rechnen mit einer schwächeren Entwicklung in zyklischeren Sektoren (z.B. Chemie) und in Bereichen, die stärker vom Verbraucherverhalten abhängig sind (z.B. Automobilindustrie, Einzelhandel).
In den Schwellenländern können sich einige interessante Anlagemöglichkeiten bei Unternehmensanleihen bieten, bei denen es sich aber vor allem um einzelne Titel in bedeutenden Ländern handelt.
An den Währungsmärkten halten wir einen vorsichtigen Ansatz für sinnvoll, mit einer Beschränkung auf Währungen, die von einer herausragenden realen Rendite (Brasilien) oder einer starken Wirtschaft und unterstützenden technischen Faktoren (Indien) profitieren. Wir bleiben konstruktiv gegenüber dem US-Dollar.
The value of active minds: unabhängige Denkansätze
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