Die Aktienmärkte, insbesondere in den USA, sind derzeit sehr stimmungsgetrieben und wir sehen ein hohes Konzentrationsrisiko sowie überzogene Bewertungen. Beide stehen in Verbindung mit versteckten psychologischen Denkfallen an den globalen Aktienmärkten.
Zum Jahresende 2024 erscheinen US-Aktien im historischen Vergleich teuer. Am 1. November 2024 war das zyklusbereinigte KGV (CAPE Ratio) des S&P 500 mit 38 mehr als doppelt so hoch wie im langfristigen Durchschnitt1.
Die von Professor Robert Shiller von der Yale University entwickelte Kennzahl eignet sich gut für langfristige Vergleiche von Marktbewertungen2. Da sie auf den durchschnittlichen inflationsbereinigten Unternehmensgewinnen der vorhergehenden zehn Jahre basiert, ist sie weniger volatil als das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das auf den Unternehmensgewinnen für kürzere Zeiträume basiert.
Gemäß dem Prinzip der sogenannten Mean Reversion können KGVs wieder zum langfristigen Mittelwert zurückkehren. Auch wenn Umsatz und Gewinn von Unternehmen über längere Zeiträume hinweg steigen können – Apple zum Beispiel hat seinen Nettogewinn von 2005 bis 2024 von 1,3 Mrd. US-Dollar auf 94 Mrd. US-Dollar gesteigert (nach einem Höchststand von 99 Mrd. US-Dollar im Jahr 2022) –, ist unwahrscheinlich, dass die KGVs unbegrenzt steigen. Das KGV ist kein Maß für die Größe oder Profitabilität von Unternehmen, sondern stellt das Verhältnis zwischen zwei unterschiedlichen Größen dar, die in einer wirtschaftlichen Beziehung zueinander stehen: Aktienkurs und Unternehmensgewinn. Die vom KGV ausgedrückte Beziehung zwischen den Investoren und den Fundamentaldaten von Unternehmen kann kurzfristig variieren und für unterschiedliche Arten von Aktien sowie unterschiedliche Regionen unterschiedlich hoch ausfallen (höher bei wachstumsstärkeren Unternehmen und wirtschaftlich dynamischeren Regionen) – weist aber ein Mean-Reversion-Element auf: Das an sich elastische KGV kann auch überspannt werden und wieder in Richtung Mittelwert zurückschnellen.
Das Shiller PE liegt deutlich über dem langfristigen Durchschnitt
Der Durchschnittswert von 17,5 für das zyklusbereinigte KGV (CAPE) des S&P 500 bezieht sich auf den Zeitraum seit 18812. Betrachtet man einen kürzeren Zeitraum von 30 Jahren, ist der Durchschnittswert höher (28), wird vom aktuellen Wert aber immer noch um mehr als ein Drittel getoppt.
Die CAPE Ratio war schon höher, als sie es heute ist: Ihren höchsten Wert erreichte sie mit 44 im Dezember 1999, zum Höhepunkt der Dotcom-Blase, bevor diese dann in den Jahren 2000 bis 2001 platzte. Auch wenn wir uns hüten, einen ähnlichen Absturz vorherzusagen, zeigt das heutige, technologiegetriebene Marktumfeld durchaus Parallelen zum Dotcom-Boom. Die Markteuphorie der späten 1990er Jahre erwuchs aus den Anfängen des Internets, während heute die künstliche Intelligenz (KI) das große Hype-Thema am Markt ist. Ein typischer psychologischer Denkfehler von Anlegern besteht darin, die kurzfristigen Erfolge neuer Technologien wie des Internets oder der KI zu überschätzen und ihre langfristigen transformativen Kräfte zu unterschätzen.
Psychologische Denkfallen
Professor Shiller ist auch für seine Arbeiten zur Marktpsychologie bekannt. In seinem Buch „Irrational Exuberance“ liefert er eine hervorragende qualitative Definition einer Marktblase:
„Eine Situation, in der die Nachricht von steigenden Preisen den Enthusiasmus der Anleger beflügelt und sich wie durch psychologische Ansteckung immer weiter verbreitet. Dabei werden die Geschichten, die solche Preissteigerungen womöglich rechtfertigen, immer mehr aufgebauscht, und immer mehr Anleger wollen mitmischen; sie haben zwar ihre Zweifel dahingehend, wie hoch der Investitionswert wirklich ist, werden aber trotzdem verführt – weil sie den anderen ihren Erfolg neiden und weil es aufregend wie ein Glücksspiel ist.“3
Shiller erhielt 2013 zusammen mit Eugene Fama und Lars Peter Hansen den Nobelpreis. In seiner Rede anlässlich der Entgegennahme des Nobelpreises bezeichnete er Famas Theorie der effizienten Märkte (vielleicht die Hauptbegründung dafür, dass so viele Investoren auf passive Index-Tracker setzen) als verfehlt. Die Theorie der effizienten Märkte besagt, dass alle auf den Finanzmärkten vorhandenen, preisrelevanten Informationen bereits im Marktpreis enthalten sind. Shiller und andere halten dies für eine zu rationalistische Sicht der tatsächlichen Funktionsweise der Märkte.
Tatsächlich ist die Realität unserer Ansicht nach alles andere als rational und die Marktpreise spiegeln teilweise die psychologischen Denkfehler der Marktteilnehmer wider. Manchmal ist das Anlegerverhalten geradezu irrational. So haben Brad Barber und Terrance Odean von der University of California Belege dafür gefunden, dass Anleger dazu neigen, Aktien zu kaufen, über die viel gesprochen wird – zum Beispiel Aktien mit einem starken Medienecho, hohem Handelsvolumen oder extremen Tagesrenditen.⁴
Evangelos Benos und Marek Jocheck wiederum haben festgestellt, dass US-Unternehmen, deren Namen die Wörter „America(n)“ oder „USA“ enthielten, während des Zweiten Weltkriegs, des Koreakriegs und des Kriegs gegen den Terror (nach dem 11. September 2001) positive Renditen von rund 6% pro Jahr erzielten.5
Die Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman haben argumentiert, dass Menschen bei der Bewertung unsicherer Ereignisse generell dazu neigen, sich auf eine begrenzte Anzahl von heuristischen Prinzipien zu stützen, die die Bewertung von Wahrscheinlichkeiten weniger komplex machen. Tversky und Kahnemann zufolge kann dies zu kognitiven Verzerrungen führen – fehlerhaften Denkmustern und Urteilsprozessen, die zu irrationalen Schlussfolgerungen führen können. Im Englischen spricht man von „Biases“.6 Ein derartiger Bias ist der sogenannte Ankereffekt. Dieser beschreibt die Beeinflussung unserer Entscheidungen durch bereits bekannte Informationen oder Werte, die uns zuvor präsentiert wurden – der sogenannte Anker oder Referenzwert. An der Börse ist das Phänomen des Ankereffekts sehr ausgeprägt. So betrachten Anleger häufig den jüngsten Kurs einer Aktie als den fairen Wert und Ausgangspunkt ihrer Entscheidungsfindung, auch wenn die Aktie gemessen an anderen, möglicherweise rationaleren, Kriterien sehr teuer ist.
Die Marktkapitalisierung des S&P 500 wird von einigen wenigen Indexschwergewichten bestimmt
Konzentrationsrisiko
Ein Anleger, der einen ETF auf den S&P 500 kauft, investiert rund ein Drittel seines Geldes in lediglich sieben der 500 Aktien des Index. Die Magnificent 7 (NVIDIA, Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta und Tesla) bringen es zusammen auf fast ein Drittel7 der Marktkapitalisierung des Index. Damit ist der Kauf eines ETF auf den S&P 500 vor allem eine Wette auf Technologieaktien und einen Growth-Anlagestil. Daran ist nichts auszusetzen, wenn diese Anlageentscheidung gut überlegt ist und das Konzentrationsrisiko bewusst eingegangen wird. Wir befürchten jedoch, dass einigen Anlegern nicht bewusst ist, wie vielschichtig „der Markt“ ist und wie unterschiedlich seine Zusammensetzung abgebildet werden kann (Gewichtung nach der Marktkapitalisierung, Gleichgewichtung, Wertgewichtung, Qualitätsgewichtung, Gewichtung nach niedriger Volatilität ... um nur einige zu nennen). Wir betrachten die Auswahl einer kapitalisierungsgewichteten Strategie wie eines S&P 500-Trackers als aktive Anlageentscheidung. Anleger sollten sich genau überlegen, ob sie blind und „passiv“ ins Jahr 2025 gehen wollen.
1 Quelle: Professor Robert Shiller, verfügbar unter https://shillerdata.com/
2 Weitere Informationen finden Sie unter http://www.econ.yale.edu/~shiller/data.htm
3 Robert Shiller, Irrational Exuberance, Princeton University Press, 2000.
4 Barber and Odean, 2008, All that Glitters: The Effect of Attention and News on the Buying Behavior of Individual and Institutional, Investors Review of Financial Studies, 21(2):785–818. Verfügbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=460660
5 Benos and Jocheck, Patriotic Name Bias and Stock Returns, Journal of Financial Markets, 16(3):550–70, 2013. Verfügbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=993289
6 Amos Tversky and Daniel Kahneman, Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases Science, New Series, Vol. 185, No. 4157. (27. Sept. 1974), S. 1124-1131. Verfügbar unter https://www2.psych.ubc.ca/~schaller/Psyc590Readings/TverskyKahneman1974.pdf
7 Am 13. November 2024 hatten die Magnificent 7 einen Anteil von 31,9% an der Marktkapitalisierung des S&P 500.
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