General Powells letztes Gefecht?
Ned Naylor-Leyland, Head of Strategy, Gold&Silver, erläutert die Gründe für die merkwürdige Diskrepanz zwischen dem Goldpreis und den Realzinsen und argumentiert, dass ein geldpolitischer Fehltritt der Fed dem Edelmetall neuen Anschub geben könnte.
Die letzten zwölf Monate werden bei Goldanlegern zu viel Verwirrung geführt haben. Obwohl die Inflation das große Thema des Jahres war, hat das Edelmetall keine Dynamik entfalten können. Erklären lässt sich die ungewöhnliche Diskrepanz zwischen der Entwicklung des Goldpreises und der Realzinsen nur mit mehr Kontext.
Wie die markttechnischen Daten (Abbildung 1) zeigen, bewegt sich der Goldpreis in US-Dollar immer noch richtungssuchend in einem enger werdenden Korridor. Wenn es mit dieser unruhigen Seitwärtsbewegung endlich vorbei ist, sollten sich Anleger auf eine erhebliche Volatilität (mit anschließender Aufwärtstendenz) einstellen. Für den wahrscheinlichsten Auslöser einer Richtungsänderung des Goldpreises halte ich eine Übertreibung, d. h. einen geldpolitischen Fehltritt der US-Notenbank (Fed).
Die Märkte haben immer noch eine lediglich temporär erhöhte Inflation eingepreist, obwohl sich die Teuerung nicht mehr auf wenige Produkte beschränkt und auch die Fed nicht mehr von einer „vorübergehenden“ Inflation sprechen will.
Die Fed und ihr Optimismus
Dass die Inflation eine Fata Morgana ist, erscheint sehr unwahrscheinlich – muss hier aber nicht im Fokus stehen. Wenn die Märkte auf den nachhaltig höheren Preisdruck aufmerksam werden und sich dies auf die Realzinsen auswirken sollte, würden Goldanleger nur profitieren. Bislang ist das aber nicht der Fall. Im Zusammenhang mit dem Ausblick für die Realzinsen und den Goldpreis konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Märkte aktuell auf die Erwartung einer geldpolitischen Straffung in Form von Fed-Zinserhöhungen und einer Drosselung der Fed-Anleihenkäufe (Stichwort „Tapering“).
In diesem Sommer liefen die Realzinsen und der Goldpreis auseinander, gerade als es so aussah, als würde der Goldpreis aus seiner Spanne ausbrechen (siehe Pfeile in Abbildungen 1 & 2). Diese Divergenz setzte mit der ersten Erwähnung des Begriffs „Tapering“ in den Stellungnahmen der Fed ein und dauert immer noch an (Abbildung 2). Die zweite Hälfte dieses Jahres fühlt sich ähnlich an wie die Phase von 2012 bis 2016, als die Fed endlose Zinserhöhungen und sogar die Normalisierung ihrer Bilanz versprach. Das war ein Trick, um die Kontrolle über den Anleihenmarkt zu behalten – und genauso erscheint auch das diesjährige Versprechen einer Reihe von Zinserhöhungen und einer raschen Rückführung der Wertpapierkäufe sehr optimistisch.
Von restriktiv zu expansiv
Nachdem die Investoren seit inzwischen fast zwei Jahren Anlagen mit hoher Duration und hohem Risiko aufkaufen, werden die Stimuli sicherlich nicht lange zurückgenommen werden können. Sofern wir uns nicht vorstellen sollen, dass es nach der Fed-Sitzung im Dezember noch mehr Zinserhöhungen und ein noch schnelleres Tapering geben wird, als derzeit eingepreist sind, erscheint ein anderes Szenario als das einer Rückkehr zu einer expansiveren Ausrichtung schwer vorstellbar.
Quelle: Bloomberg, Stand 15. Dezember 2021
Ich würde auch zu bedenken geben, dass die Märkte bereits zahlreiche Zinserhöhungen und eine schnelle Rückführung der Assetkäufe eingepreist haben. Es ist fraglich, ob ein derartiger, durch eine „geldpolitische Fehlentscheidung“ ausgelöster Ausverkauf von Aktien und risikoreicheren Anlagewerten überhaupt zu einem deutlichen Rückgang des Goldpreises führen würde. Normalerweise würde man erwarten, dass ein Ausverkauf risikoreicherer Anlagen zu einem Anstieg der Realzinsen führt, weil die Inflationserwartungen einbrechen. In diesem Fall könnte ich mir jedoch vorstellen, dass die Märkte die eingepreisten Erwartungen an Zinserhöhungen und Tapering rasch zurücknehmen und so die Realzinsen auf neue Tiefstände sinken lassen könnten. Das wäre natürlich sehr positiv für den Goldpreis.
Um auf unsere bevorzugte historische Analogie – die 1970er Jahre – zurückzukommen: Zeiten, in denen die Realzinsen niedrig sind und sogar fallen, während der Goldpreis pausiert, hat es bereits gegeben. Wie Abbildung 3 zeigt, befanden sich die Realzinsen Ende 1978 auf einem langen Marsch nach unten, während sich der Goldpreis mehrere Monate lang seitwärts bewegte bzw. nach unten tendierte, bevor er reagierte und 1979 explosionsartig anstieg.
Powells letztes Gefecht?
Die letzten sechs Monate fühlen sich an wie das letzte Aufbäumen der Falken und ihrer restriktiven Zinsprognosen, bevor die Fed handeln oder zum Rückzug blasen muss. Was als nächstes passiert, wird viel wichtiger sein als das, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist. Viele sehen die Fed kurz davor, eine schwerwiegende geldpolitische Fehlentscheidung zu treffen, indem sie die Geldpolitik in einen Abschwung hinein strafft. Ich stimme dieser Ansicht zu.
Wie auch beim schattierten Zeitraum Ende 1978 (Abbildung 3) sehe ich einige Parallelen zwischen der aktuellen Phase und der romantisierten Geschichte über ‚die letzte Schlacht‘ von General George Custer, dem Überheblichkeit und Größenwahn zum Verhängnis wurden. In der Schlacht am Little Bighorn im Jahr 1876 nahmen es Custer und seine 700 Männer mit einigen Tausend Sioux- und Cheyenne-Kriegern auf und wurden von ihnen vernichtend geschlagen.
Auch die Fed kann die Säbel rasseln lassen, drohen und versuchen, ihre Linie mit Ansagen und Versprechen zu halten. Ich vermute aber, dass sie, wenn es zum Nahkampf – den tatsächlichen geldpolitischen Schritten – kommt, schnell wieder zum Rückzug blasen wird.
Quelle: Bloomberg, Stand 15. Dezember 2021
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